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Zeitzeugen 

1933 - 1945 Zeitzeugen berichten

Hannelore Zilewitsch, geb. Geißler, erlebte das Kriegende auf Poel als Zehnjährige und schrieb ihre Erinnerungen 2004 nieder. Ihr Sohn stellte mir diese Aufzeichungen freundlicherweise für die Veröffentlichung zur Verfügung:

Während der großen Bombenangriffe 1943 auf Hamburg wurden auch wir ausgebombt. Unsere Mutter fand mit uns Unterkunft bei Verwandten in Kirchdorf. Später kamen weitere Ausgebombte, u. a. Frau K. mit 3 Kindern. Diese wurden von ihrer Schwester, Fr. Sch., Lehrerin auf Poel, wohnhaft bei Bäcker Groth, aufgenommen. Durch das ähnliche Schicksal freundeten unsere Mutter u. Fr. K. sich an. Als 1945 die Kapitulation absehbar war, erhielt Fr. K. einen Brief von ihrem Mann von der Front. Darin stand ein folgenschwerer Satz: „Falls wir wider Erwarten den Krieg verlieren sollten, gehört die letzte Kugel im Lauf der Pistole mir. Was Du mit den Kindern machst, überlasse ich Dir.“

Als die russische Front immer näher rückte, war die Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung groß, Fr. K. verfiel dem Gedanken, das Leben ihrer Kinder, das ihrer Mutter u. ihr eigenes zu beenden. Sie suchte in ihrem Umfeld Gleichgesinnte. Unsere Mutter wurde von ihr wiederholt daraufhin angesprochen. In den allgemeinen Wirren der damaligen Zeit gelang es ihr, 2 weitere junge Frauen von der Notwendigkeit eines Selbstmordes zu überzeugen. An der spitzen Ecke am Kirchsee schnitten die Mütter den Kindern und sich die Pulsadern auf u. gingen ins Wasser. Fr. K. gab ihren Kindern Fotos vom Vater in die Hände u. sagte ihnen: „Wir gehen zu Papi“. Besonders der älteste weigerte sich, mitzugehen. Eine der jungen Frauen zog sogar einen Kinderwagen mit Säugling ins Wasser.

Junge Fischer beobachteten diese Szene. Mit einem Kahn eilten sie zu Hilfe. Sie retteten zuerst den 10jährigen Sohn, dessen Mutter Fr. K. u. die beiden jungen Frauen wurden ebenfalls gerettet. Ihr Leben verloren die Mutter von Fr. K. u. 8 Kinder. In der Nähe des Kirchturms wurden also 9 Menschen in einem Massengrab beigesetzt. Eine Einsicht in das Kirchenbuch ergab, es fand keine Eintragung statt. Fr. K. machte nach dieser Katastrophe noch 2 Suizidversuche, beide scheiterten. Unsere Mutter fand Fr. K. auf dem Grab liegend.

Nach einiger Zeit kam Herr K. aus dem Krieg zurück. Er vermutete seine Frau u. seine 3 Kinder bei seiner Schwiegermutter in Wismar. Dort erfuhr er von Nachbarn von dem furchtbaren Unglück, das sich hier auf Poel ereignete. Er fuhr gar nicht erst nach Poel, sondern setzte seine Reise nach Hamburg fort. Den Rest ihres Lebens mußte Fr. K. mit der schweren Last allein zurecht kommen. Der überlebende Sohn hat ebenfalls schwer gelitten. Er siedelte nach Hamburg zu seinem Vater über. Nach vielen Jahren hat er aber den Kontakt zu seiner Mutter wieder aufgenommen. Die Männer der beiden anderen Frauen überlebten den Krieg auch. Sie holten ihre Frauen von der Insel ab. Diese Ehen zerbrachen später ebenfalls.

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